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Fundstelle: MMR 2001, 117

Prüfung von Pre-Paid-Kundendaten durch die Provider
§§ 88, 89 TKG
VG Köln; Urteil vom 22.09.2000; ger. Az.: 11 K 240/00
nicht rechtskräftig, (Az. beim OVG Münster: 13 A 5294 / 00 bzw. 13 A 5293 / 00)

Telefonprovider sind mangels gesetzlicher Vorgaben nicht verpflichtet, beim Verkauf von Prepaid-Karten über das Internet die Identität der Käufer überprüfen.
(Leitsatz der Kanzlei Flick)

Aus dem Tatbestand:
Die Klägerin ist ein Unternehmen, das als sogenannter Service Provider im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Mobilfunkdienstleistungen verschiedener Mobilfunknetzbetreiber (D1-,D2- und E-Netz) vertreibt und anbietet. Die Klägerin verschafft Dritten, den Endkunden, Telekommunikationsdienstleistungen, die über die Telekommunikationsnetze der Mobilfunknetzbetreiber erbracht werden.

In diesem Zusammenhang bietet die Klägerin unter anderem sogenannte Prepaid-Produkte der Netzbetreiber an. Diese bestehen in der Regel aus einem Mobiltelefon und einer sogenannten Prepaid-Card. Die Prepaid-Card ist eine Telefonkarte, die per Barzahlung, Kreditkarte, Überweisung oder Lastschrift mit einem bestimmten Guthaben "aufgeladen" werden kann. Das Guthaben wird anschließend abtelefoniert. Der Kunde tritt damit für die noch zu erbringenden Telekommunikationsdienste durch eine Vorauszahlung in Vorleistung. Die Erhebung personenbezogener Daten des Kunden zwecks Identifizierung desselben ist für die Klägerin aufgrund der Vorleistungspflicht des Kunden - anders als beim Abschluß von Standardverträgen, bei denen die Klägerin selbst durch Bereitstellung der Telekommunikationsdienste in Vorleistung tritt - weder für die Begründung noch für die Erbringung der Dienste erforderlich.

Aufgrund eines erfolglosen Auskunftsersuchens der Bezirkskriminalinspektion Lübeck zur Feststellung eines Nutzers einer durch die Klägerin vertriebenen Prepaid-Karte bat die Beklagte mit Schreiben vom 27. September 1999 um Auskunft, wie die Klägerin ihren Verpflichtungen zur Führung von Kundendateien nachkomme. Die Beklagte wies darauf hin, dass die Klägerin zur Führung entsprechender Kundendateien verpflichtet sei und erinnerte an die von ihr im Jahre 1997 herausgegebenen "Leitlinien" für die Vermarktung von Prepaid-Produkten, die sie dem Schreiben beifügte.

Mit Schreiben vom 15. Oktober 1999 teilte die Klägerin der Beklagten mit, ihrer Ansicht nach müssten nur die Daten in die bereitzuhaltende Datenbank aufgenommen werden, die die Anbieter im Rahmen des § 89 des Telekommunikationsgesetzes für eigene Zwecke erheben würden.
Mit Bescheid vom 08. Dezember 1999, der der Klägerin am 10. Dezember 1999 zuging, ordnete die Beklagte gegenüber der Klägerin sodann die Führung von Kundendateien für die Inhaber von Prepaid-Produkten mit Rufnummernzuteilung an. In die Dateien sollten unverzüglich die Rufnummern und Rufnummernkontingente, die zur weiteren Vermarktung oder sonstigen Nutzung dieser Produkte an andere vergeben werden, sowie Name und Anschrift der Inhaber von solchen Rufnummern bzw. Rufnummernkontingenten aufgenommen werden. Zur Begründung führte die Beklagte an, die Verpflichtung zur Führung von Kundendateien im Rahmen des § 90 Abs. 1 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) gelte auch für den Vertrieb von Prepaid-Produkten. Eine Beschränkung auf die Daten, die für die betriebliche Abwicklung der Telekommunikationsdienste oder das bedarfsgerechte Gestalten der Dienste erforderlich sind, sei nicht ersichtlich. Eine andere Auslegung würde dem Zweck der Regelung, den Sicherheitsbehörden Zugriff auf vollständige Kundendaten zu ermöglichen, unterlaufen. Die Verpflichtung zur Führung von Kundendateien beinhalte auch die Pflicht zur Erhebung dieser Daten. Aus Sinn und Zweck der Regelung ergebe sich zudem, dass die Daten zuverlässig sein müssten. Daher sei eine Überprüfung der Identität des Kunden anhand eines amtlichen Ausweispapieres erforderlich.

Am 10. Januar 2000 hat die Klägerin Klage erhoben.

Sie ist der Ansicht, die Anordnung der Beklagten sei rechtswidrig. Als Anbieterin von Telekommunikationsdienstleistungen sei sie im Rahmen des Vertriebs von Prepaid-Produkten nicht zur Erhebung und Überprüfung von Kundendaten und zur Kundenidentifizierung in bestimmter Art und Weise verpflichtet.
§ 90 TKG stelle insoweit keine ausreichende Grundlage für die Verpflichtung zur Erhebung von Kundendaten dar. Die Vorschrift regele nur die "Beauskunftung" bereits erhobener Daten, nicht aber die Erhebung selbst.
Die Systematik des Telekommunikationsgesetzes sehe als materiell-rechtliche Grundlage für die Erhebung von Daten ausdrücklich nur § 89 Abs. 1 und 2 TKG vor. Der Erhebungsumfang und die Erhebungszwecke seien in § 89 Abs. 2 TKG abschließend geregelt. Danach dürften geschäftsmäßige Anbieter von Telekommunikationsdiensten nur die Daten erheben, verarbeiten und nutzen, die sie zur betrieblichen Abwicklung ihrer Telekommunikationsdienste oder für das bedarfsgerechte Gestalten ihrer Dienste benötigen.
§ 90 TKG schaffe keine Ermächtigungsgrundlage zur Erhebung von Daten, deren Umfang über den von § 89.Abs. 1 und 2 TKG vorgegebenen Rahmen hinausgehe.
Dies ergebe auch ein systematischer Vergleich der Vorschriften. § 90 TKG gehöre systematisch nämlich zu § 89 Abs. 6 TKG. Auch § 89 Abs. 6 TKG sei keine selbständige Ermächtigungsgrundlage zur Erhebung von Daten, sondern regele nur die Übermittlung derselben. Ebenso wie § 90 TKG solle § 89 Abs. 6 TKG den früher im Wege der Amtshilfe möglichen Zugriff auf Bestandsdaten ermöglichen.
Die Anordnung der Beklagten beeinträchtige sie in ihrem Recht auf freie Berufsausübung, da sie bei der Vermarktung von Prepaid-Produkten eingeschränkt werde. Ein Vertrieb der Prepaid-Produkte beispielsweise als Regalware werde ihr faktisch untersagt. Dadurch entgingen ihr Verdienstmöglichkeiten in unbezifferter Höhe. Ferner werde sie in der Gestaltung des Produktes gehindert, da die Prepaid-Karten erst später freigeschaltet werden könnten.
Die von der Beklagten vorgenommene weite Auslegung des § 90 TKG bedeute zudem einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Telekommunikationskunden. Sie missachte das Gebot der Normenklarheit sowie die Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt.
Da die Bestandsdaten auf Vorrat neben reinen Auskunftsersuchen gerade auch für Überwachungsmaßnahmen vorgesehen seien, stellten diese Maßnahmen auch einen Eingriff in das über Art. 10 GG, § 85 TKG geschützte Fernmeldegeheimnis dar.
Schließlich ergebe sich aus § 90 Abs. 1 TKG auch keine Verpflichtung der Klägerin, die Identität des Kunden mittels eines amtlichen Ausweispapiers zu überprüfen.

(...)

Die Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin sei verpflichtet, Namen, Anschrift und Rufnummer ihrer Kunden auch bei Prepaid-Produkten zu erheben und eine Identitätsprüfung anhand bestimmter Ausweispapiere vorzunehmen.
Rechtsgrundlage für diese Pflicht sei § 90 TKG. Durch diese Vorschrift solle gerade die Begründung anonymer Kundenverhältnisse ausgeschlossen werden.
§ 90 TKG stehe nicht unter dem Vorbehalt des § 89 TKG. Vielmehr stünden beide Vorschriften selbständig nebeneinander. Eine Bezugnahme auf § 89 sei in § 90 TKG nicht enthalten. Zudem verfolgten die Vorschriften vollständig anders Regelungszwecke. Während § 89 TKG dem Datenschutz diene und tendenziell die Erhebung und Nutzung von Daten Beschränkungen unterwerfe, diene § 90 TKG Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit und schreibe gerade eine Erhebung und Nutzbarmachung bestimmter Daten vor. Eine Beschränkung auf die Daten, die vom Dienstanbieter gemäß § 89 TKG i.V.m. der Telekommunikationsdatenschutzverordnung erhoben würden seien, sei daher nirgends erkennbar.
Bei einer anderen Auslegung werde Sinn und Effizienz der Regelung in einem wesentlichen Bereich unterlaufen. Sinn der Regelung sei es, verschiedenen berichtigten Stellen im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben einen durch die Beklagte vermittelten Zugriff auf vollständige Kundendateien zu ermöglichen. Die Vorschrift solle nach der Amtlichen Begründung den Bedürfnissen der Strafverfolgungs- und der Sicherheitsbehörden Rechnung tragen und sicherstellen, dass die zu führenden Kundendateien aktuell und vollständig sind.
Wenn die Kunden der Prepaid-Produkte nicht in die Kundendateien aufgenommen wurden, obwohl ihnen eine Rufnummer zugeteilt werde, werde sich eine erhebliche Zahl von Telekommunikationsteilnehmern den Ermittlungen der berechtigten Stellen entziehen können, so dass die Ermittlung und Verfolgung von Straftaten wesentlich erschwert werde.
Die Verpflichtung, vollständige Kundendateien zu führen, beinhalte zwangsläufig und denknotwendig die Pflicht zur Erhebung der entsprechenden Daten.
Insoweit liege ein zulässiger Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht vor. Der Eingriff sei durch ein einfaches Gesetz möglich und auch nicht unverhältnismäßig, da er den Einzelnen kaum belaste, für die innere Sicherheit und Strafverfolgung als überragende Gemeinwohlinteressen aber außerordentlich wichtig sei. Das Vermarktungsinteresse der Klägerin in Bezug auf das vorliegende Produkt finde seine Grenzen in den gesetzlich geregelten staatlichen Sicherheitsanforderungen.
Aus Sinn ,und Zweck des § 90 Abs. 1 TKG ergebe sich auch die Verpflichtung, die Zuverlässigkeit der in die Kundendatei aufzunehmenden Daten sicherzustellen. Dateien, in denen aufgrund ungeprüfter Angaben von Kunden in nicht nachprüfbaren Maße falsche oder Phantasienamen enthalten wären, seien für die von § 90 TKG intendierten Zwecke wertlos. Die Qualität der Kundendateien hinsichtlich Vollständigkeit und Zuverlässigkeit der Angaben zu Rufnummer, Name und Anschrift sei für die Auskunftsersuchen der Sicherheitsbehörden essentiell.
Im Bereich des Banken- und Sparkassenwesens gebe es auch keine anonymen Nummernkonten. Die kontoführende Stelle habe darüber hinaus gemäß § 154 Abs. 2 der Abgabenordnung auch die Identität des über das Konto Verfügungsberechtigten zu prüfen und diese Angaben verfügbar zu halten. Die Klägerin werde daher nicht übermäßig belastet. Sie müsse sich lediglich behandeln lassen wie andere Unternehmen auch, denen aufgrund ihrer speziellen Tätigkeitsfelder bestimmte Pflichten im Interesse hochrangiger Schutzgüter auferlegt seien.
(...)

Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 08. Dezember 1999 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Bescheid war deshalb aufzuheben.

Die Klägerin ist nach der derzeitigen Rechtslage nicht verpflichtet, im Rahmen des Vertriebs von Prepaid-Produkten Kunden-Daten zu erheben, zu überprüfen und eine Kundenidentifizierung anhand der von der Beklagten vorgegebenen Ausweispapiere vorzunehmen.
Eine solche Verpflichtung findet im Gesetz keine ausreichende Stütze.

Als Ermächtigungsgrundlage für eine derartige Anordnung kommt - entgegen der Ansicht der Beklagten - insbesondere nicht § 91 Abs. 1 i.V.m. § 90 Abs. 1 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) vom 25. Juli 1996 (BGBl. I S. 1120) in Betracht.

Gemäß § 90 Abs. 1 TKG ist derjenige, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste anbietet, (...) verpflichtet, Kundendateien zu führen, in die unverzüglich die Rufnummern (...) sowie Name und Anschrift der Inhaber von Rufnummern (...) aufzunehmen sind (...).

Seinem Wortlaut nach verpflichtet § 90 Abs. 1 TKG die Anbieter von Telekommunikationsdiensten ausdrücklich nur zum Führen von Kundendateien und zur Aufnahme der angeführten Daten (Bestandsdaten). Eine darüber hinausgehende Verpflichtung der Anbieter von Telekommunikationsdiensten im Verhältnis zu ihren Kunden, die entsprechenden Bestandsdaten zu erheben, ist dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu entnehmen und kann auch durch Auslegung des § 90 Abs. 1 TKG nicht begründet werden.
Vielmehr ist aufgrund der Systematik des Gesetzes und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift davon auszugehen, dass sich die Verpflichtung des § 90 Abs. 1 TKG zur Führung von Kundendateien und zur Aufnahme der entsprechenden Daten lediglich auf die von den Anbietern nach § 89 Abs. 2 TKG i.V.m. der Telekommunikationsdienstunternehmen-Datenschutzverordnung (TDSV) zulässigerweise erhobenen Daten bezieht.
Die Regelung des § 90 TKG stellt sich dabei in ihrem systematischen Zusammenhang als rein technische Verpflichtung der Dienstanbieter zur Bereitstellung der im eigenen Interesse geführten Kundendatei für das automatisierte Abrufverfahren dar.

Eine andere Auslegung der Vorschrift stünde in unauflösbarem Wiederspruch zur detaillierten datenschutzrechtlichen Regelung des § 89 TKG. Letztere Vorschrift regelt - in Verbindung mit der Telekommunikationsdienstunternehmen-Datenschutzverordnung (vom 12. Juli 1996, BGBl. I S. 982, - TDSV) - abschließend, in welchem Umfang und zu welchem Zweck die Anbieter von Telekommunikationsdiensten personenbezogene Daten ihrer Kunden erheben dürfen.

Auf der Grundlage des § 89 Abs. 2 TKG i.V.m. § 3 TDSV dürfen Diensteanbieter nur die Daten erheben, die insbesondere zur betrieblichen Abwicklung oder für das bedarfsgerechte Gestalten ihrer jeweiligen geschäftsmäßigen Telekommunikationsdienste erforderlich sind. Die Vorschrift dient dem Datenschutz und unterwirft die Erhebung und Nutzung von Daten Beschränkungen. § 89 stellt insoweit eine detaillierte Regelung dar, anhand derer die Beteiligten erkennen können, unter welchen Umständen, in welchen Bereichen und in welchem Umfang sie bei der Inanspruchnahme von Telekommunikationsdiensten mit einer Einschränkung des auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 des Grundgesetzes (GG) gestützten informationellen Selbstbestimmungsrechts in Bezug auf ihre personenbezogenen Daten infolge der mit der Erbringung der Dienste verbundenen Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung zu rechnen haben (vgl. Büchner, in: Beckscher TKG Kommentar, 2. Auflage, München 2000, Rdnr. 2 zu § 89).
Mit dieser Regelung ist ein durch § 90 Abs. 1 TKG begründeter Zwang zur Erhebung von Daten, die die Diensteanbieter - wie bei der Vermarktung von Prepaid-Produkten - gerade nicht zur betrieblichen Abwicklung oder für das bedarfsgarechte Gestalten ihrer jeweiligen geschäftsmäßigen Telekommunikationsdienste benötigen, nicht vereinbar. Die auftretende Diskrepanz kann auch nicht dadurch beseitigt werden, dass der Bereich der "betrieblichen Abwicklung" erweitert wird um die aus § 90 TKG resultierenden Verpflichtungen. Der Umfang dessen, was zur "betrieblichen Abwicklung" gehört, ist insoweit in § 89 Abs. 2 Nr. 1 TKG abschließend geregelt.

Soweit die Beklagte meint, die Vorschriften des §§ 89 und 90 TKG stünden nebeneinander und sie diese Annahme mit der fehlenden Bezugnahme in § 90 TKG auf § 89 TKG sowie den unterschiedlichen Regelungszwecken der Normen begründet, ist dem entgegen zu halten, dass gerade angesichts der detaillierten Regelungen, die § 89 TKG i.V.m in der TDSV zum Schutz des Nutzers vorsieht, es nicht ersichtlich ist, dass durch die blankettartige Formulierung des § 90 TKG der Umfang der von den Unternehmen zu erhebenden Daten über den Anwendungsbereich des § 89 Abs. 2 TKG hinaus ausgedehnt werden sollte.
Wäre dies die Intention des Gesetzgebers gewesen, so wäre im Einblick auf seine im Rahmen des § 89 TKG zum Ausdruck kommende datenschutzrechtliche Sensibilität zu erwarten gewesen, dass er aufgrund der noch größeren Intensität des Eingriffs - vor allen in die Rechte der Telekommunikationskunden - die Befreiung von dem Vorbehalt des § 89 TKG und die Verpflichtung der Unternehmen zur Erhebung der konkreten Daten ausdrücklich formuliert hatte. Dies ist nicht geschehen.

Der auftretende Wertungswiderspruch tritt noch deutlicher hervor, wenn man die Vorschrift des § 89 Abs. 6 mit der des § 90 TKG vergleicht. Beide Vorschriften stehen in einem systematischen Zusammenhang zueinander (vgl. Büchner, a. a. 0., Rdnr. 44 zu § 89; Gundermann, in: DuD 1999, 681, 684).
Sowohl § 89 Abs. 6 TKG als auch § 90 TKG sehen Auskunftsverfahren vor und unterscheiden sich nur in der Art und Weise des Zurverfügungstellens der Daten.
Während § 89 Abs. 6 TKG den Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden den direkten Zugriff auf die gemäß § 89 Abs. 2 Nr. la TKG für die betrieblichen Erfordernisse erhobenen personenbezogenen Daten in Form einer Einzelauskunft bei den Diensteanbietern ermöglicht, sichert § 90 Abs. 1 TKG das Auskunftsersuchen der Sicherheitsbehörden über das automatisierte Verfahren nach § 90 Abs. 2 ff. TKG. Anders als § 89 Abs. 6 TKG ermöglicht es § 90 TKG den Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden - ohne den Umweg über einen konkreten Diensteanbieter -, über die Regulierungsbehörde als Kopfstelle Zugriff auf eine zentrale Datenbank zu nehmen, in der die Bestandsdaten der Telekommunikationskunden aufgenommen worden sind. Der Sinn der Vorschrift besteht dabei insbesondere darin, in einem liberalisierten Telekommunikationsmarkt den Sicherheitsbehörden die Feststellung zu ermöglichen, bei welcher Telefongesellschaft eine verdächtige Person Kundin oder Kunde ist, um den zu überwachenden Anschluss überhaupt identifizieren zu können (vgl. Bäumler, Dix, Garstka, Sokol, Walz, in: DuD 1999, 712, 714).
§ 90 TKG stellt insoweit angesichts der Vielzahl der Diensteanbieter gegenüber § 89 Abs. 6 TKG ein rationelleres und - wegen der jederzeit gewährleisteten Abfragemöglichkeit - auch praktikableres Masseverfahren dar. Es sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass § 90 Abs. 1 TKG zu intensiveren Eingriffen ermächtigen sollte (vgl. Ehmer, in: Beckscher TKG Kommentar, 2. Auflage, München 2000, Rdnr. 14 zu § 90).Andernfalls würde in letzter Konsequenz unter Umständen über den Umweg des § 90 Abs. 1 TKG der Umfang der nach § 89 Abs. 6 TKG aufzunehmenden und weiterzuleitenden Daten in unzulässigem Maß erweitert. Denn wären die Daten für die Zwecke des § 90 Abs. 1 TKG einmal erhoben, müssten sie konsequenterweise auch im Rahmen des Auskunftsersuchens nach § 89 Abs. 6 TKG übermittelt werden. Dem wiederum steht die klare Begrenzung der zu übermittelnden Daten auf das betrieblich erforderliche Maß (§ 89 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 TKG) entgegen.

Zudem ist nicht zu erklären, wie die von der Beklagten vorgenommene Auslegung des § 90 Abs. 1 TKG mit der Vorschrift des § 89 Abs. 10 TKG in Einklang stehen soll, derzufolge die geschäftsmäßige Erbringung von Telekommunikationsdiensten nicht von der Angabe personenbezogener Daten abhängig gemacht werden darf, die für die Erbringung der Dienste nicht erforderlich sind.

Schließlich lässt sich auch aus der Entstehungsgeschichte nicht erkennen, dass mit der Vorschrift des § 90 Abs. 1 TKG eine Verpflichtung zur Erhebung von Kundendaten über den von § 89 Abs. 2 TKG vorgegebenen Umfang hinaus geschaffen werden sollte, um so die Begründung anonymer Kundenverhältnisse auszuschließen. Vielmehr bestätigen die Gesetzesmaterialien, dass mit der Regelung lediglich eine rein technische Verpflichtung der Diensteanbieter zur Bereitstellung der im eigenen Interesse geführten Kundendatei für das automatisierte Abrufverfahren geschaffen werden sollte.

Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die Vorschrift des § 90 TKG nach der Amtlichen Begründung den Bedürfnissen der Strafverfolgungs- und der Sicherheitsbehörden Rechnung tragen und sicherstellen soll, dass die zu führenden Kundendateien aktuell und vollständig sind (vgl. BR-Drs. 80/96 S. 55 (zu § 87)).
Der Beklagten ist insoweit zuzugeben, dass die Qualität der Kundendatei hinsichtlich ihrer Vollständigkeit für die Auskunftsersuchen der Sicherheitsbehörden von großer Bedeutung und die Vermeidung anonymer Kundenverhältnisse der Effektivität der Strafverfolgung zuträglich ist. Es ist jedoch Aufgabe des Gesetzgebers, das Spannungsverhältnis zwischen effektiver Strafverfolgung und der Respektierung des Datenschutzes in angemessener Weise und eindeutig zu lösen. Die Gesetzesmaterialien zum Entwurf des Telekommunikationsgesetzes und auch die im Vorfeld angedachten Lösungsmöglichkeiten deuten in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Problematik der Entstehung anonymer Kundenverhältnisse im Rahmen der Vermarktung von Prepaid-Produkten zwar erkannt (Vgl. Anlage Bl. zu 11 K 240/00, Bl. 154 ff. Gerichtsakte - GA-, Anlage zu BMPT vom 24. Januar 95 Bl. 164 GA, Entwurf vom 9. Mai 1995, Bericht über Problemfelder und Lösungsansätze, Bl. 170,172 f., 175 ff. GA, 37. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1997 Bl. 182 GA), jedoch im Telekommunikationsgesetz nicht - insbesondere nicht durch § 90 TKG - gelöst wurde.

Eine Auslegung des § 90 Abs.1 TKG - entgegen der strengen Vorgaben des § 89 Abs. 2 TKG - als Verpflichtung zur Vorratsspeicherung oder noch weiter gehend als Vorratserhebung von Kundendaten ist dem Willen des Gesetzgebers insoweit nicht zu entnehmen.
So sollte nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Telekommunikationsgesetz mit § 90 TKG lediglich eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, die vor der Postreform I und II gegenüber der ehemaligen Deutschen Bundespost als staatlicher Verwaltung und einzigem Telekommunikationsanbieter im Rahmen der Amtshilfe gegeben war. Die Vorschrift sollte die bisherigen Auskunftsbefugnisse in dem privatisierten Telekommunikationsmarkt sicherstellen. Vgl. BR-Drs. 80/96 S. 55 (zu § 87).

Hieraus geht hervor, dass der Gesetzgeber über § 90 TKG das Verhältnis der Anbieter zur Beklagten bzw. zu den Sicherheitsbehörden regeln, nicht aber eine weitergehende Verpflichtung im Verhältnis der Diensteanbieter zum Kunden begründen wollte. Vielmehr sollte durch § 90 ein Teilersatz für die wegfallende Möglichkeit der Inanspruchnahme von Amtshilfe geschaffen werden. Auch die Amtshilfe war aber auf die Weitergabe vorhandener Daten beschränkt. Weder Art. 35 des Grundgesetzes noch die einfach-gesetzlichen Regelungen der Amtshilfe sahen eine Pflicht der Bundespost vor, bestimmte Daten der Postbenutzer zu erheben (vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 4. Auflage 1997, Art. 35 GG Rdr. 2 m. w. N).
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wies die Bundesregierung ferner einen Vorschlag des Bundesrates, demzufolge auch nach Beendigung des Kundenverhältnisses Zugriff auf Daten ermöglicht werden sollte, mit der Begründung zurück, die "Bundesregierung (beabsichtige) nicht, in § 87 ( jetzt § 90) zusätzliche, den Datenschutzbestimmungen widersprechende Regelungen zur Zulässigkeit der Speicherung von Kundendaten aufzunehmen" (vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 13/4438, S. 24 (Nr. 98); Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drs. 13/4438, S. 40 (zu Nr. 98)).

Dass die Bundesregierung selbst keine Veranlassung sah, von der Wahrung datenschutzrechtlicher Grundsätze für Zwecke der Auskunftsersuchen abzusehen, zeigt sich schließlich darin, dass sie einen Vorschlag des Bundesrates ablehnte, mit dem dieser eine Erweiterung des § 89 Abs. 1 dahingehend zu erreichen versuchte, dass in der Datenschutzverordnung für die Dauer der Speicherung nicht nur Höchstfristen, sondern auch Mindestfristen vorgesehen werden, um zu vermeiden, dass das Auskunftsersuchen nach § 89 Abs. 6 entwertet wird. Die Bundesregierung wies in diesem Zusammenhang darauf hin, "die Verarbeitung von Telekommunikationsdaten (sei) regelmäßig auf den betrieblich erforderlichen Zweck der Abwicklung der jeweiligen vertraglich vereinbarten Telekommunikationsdienstleistungen beschränkt. Das Anliegen des Bundesrates wurde vom Ergebnis her auf eine mangels aktuellen Bedarfs unzulässige Vorratsspeicherung von Daten hinauslaufen" (vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 13/4439 S. 23 (Nr. 90): Gegenäußerung der Bundesregierung, BT- Drs. 13/4438, S. 39 (zu Nr. 90)). Letztlich wird § 90 TKG auch in den Gesetzesmaterialien des Gesetzgebungsverfahrens zum Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz lediglich als automatisierte Rufnummerauskunft qualifiziert (vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BT-Dru. 13/8453, S. 6 (Nr. 11) und Gegenäußerung der Bundesregierung, BT Drs. 13/8453, S. 12 (zu Nr.5b)), wobei der Bundesrat den Nutzen und die Effektivität des § 90 TKG im Hinblick auf Prepaid-Produkte ausdrücklich - und von der Bundesregierung unwidersprochen - verneint (vgl. Stellungnahme des Bundesrates, Br-Drs. 13/8453, S. 6 (Nr. 11) und S. 7 (Nr. 15)).

Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen verbietet sich die von der Beklagten vorgenommene extensive Auslegung des § 90 Abs. 1 TKG schließlich im Hinblick auf die Grundrechtswesentlichkeit der Anordnung und die dadurch erfolgte Aktivierung des Parlamentsvorbehalts. Selbst wenn - entgegen den obigen Ausführungen - die Verpflichtung zur Führung vollständiger Kundendateien, wie von der Beklagten vorgetragen, zwangsläufig und denknotwendig die Pflicht zur Erhebung der entsprechenden Daten beinhaltete, wird eine solche Annahme den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts nicht gerecht.
Als belastende Regelungen bedürfen die von der Beklagten vorgegebenen Verpflichtungen einer gesetzlichen Ermächtigung, die den Inhalt und die Grenzen der behördlichen Befugnis eindeutig umreißt. Dies folgt aus dem Vorbehalt des Gesetzes (zur Geltung des Gesetzesvorbehaltes für verpflichtende Auskunftsbegehren vgl. etwa OVG Münster, Beschluss vom 25. August 2000 - 20 B 959/00 -, S. 9 unter Hinweis auf OVG Rhld.-Pfalz, Urteil vom 4. April 1986, - 8 A 30/85 -, NuR 1987, 15).

Angesichts des Erfordernisses einer gesetzlich klar umrissenen Ermächtigung ist Zurückhaltung gegenüber dem Versuch geboten, die Befugnis, die Erhebung kundenbezogener Daten zu erzwingen, die für die betriebliche Abwicklung nicht erforderlich sind, als Annex zu einer gesetzlich vorgesehenen Verpflichtung zum Führen von Kundendateien zu begründen. Gerade angesichts der Tatsache, dass § 90 TKG eine bestimmte Branche - die Anbieter von Telekommunikationsdiensten - mit Sonderpflichten belastet, die für sie selbst ohne Nutzen sind und die ohnehin erhebliche Kosten für die Unternehmen entstehen lassen, ist eine enge Auslegung der Vorschrift geboten (vgl. Gundermann, in: DuD 1999, 681, 684).
Zwar ist - entgegen der Ansicht der Klägerin - das Fernmeldegeheimnis der Telekommunikationskunden aus Art. 10 GG nicht tangiert, da es hier um Bestandsdaten und nicht um Verbindungsdaten (vgl. § 85 Abs. 1 TKG) geht; hieraus lässt sich das Gebot einer engen Auslegung also nicht ableiten. Betroffen sind jedoch zum einen die Anbieter von Telekommunikationsdiensten in ihrem Recht auf freie Berufsausübung aus Art. 12 Abs. 1 GG, zum anderen auch die Telekommunikationskunden in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 GG.
Soweit die Beklagte meint, auch im Bereich des Banken- und Sparkassenwesens sei im Hinblick auf § 154 der Abgabenordnung (AO) die Errichtung anonymer Nummernkonten ausgeschlossen, so dass die Klägerin lediglich behandelt würde wie andere Unternehmen auch, denen aufgrund ihrer speziellen Tätigkeitsfelder bestimmte Pflichten im Interesse hochrangiger Schutzguter auferlegt seien, so ist dem entgegen zu halten, das die Konzeption des § 154 AO mit der des § 90 Abs. 1 TKG in keiner Weise vergleichbar ist. Anders als § 90 Abs. 1 TKG verbietet § 154 Abs. 1 AO ausdrücklich die anonyme Kontoerrichtung. § 154 Abs. 2 AO verpflichtet den Kontoführenden zudem ausdrücklich, sich zuvor Gewissheit über die Person und Anschrift des Verfügungsberechtigten zu verschaffen, die entsprechenden Angaben festzuhalten sowie sicherzustellen, dass er jederzeit Auskunft geben kann. Derartige Vorgaben sind in § 90 Abs. 1 TKG gerade nicht enthalten.

Zudem muss sich § 90 TKG an den durch das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil entwickelten Grundsätzen messen lassen. Danach bedürfen Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmungsrecht einer gesetzliche Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht (vgl. BVerfGE 65, 1, (44)).
Diesen Anforderungen wird § 90 Abs.1 TKG jedenfalls dann nicht gerecht, wenn man der Norm im Wege einer extensiven Auslegung die Verpflichtung der Diensteanbieter entnimmt, über den durch § 89 Abs. 2 7KG zulässigen Rahmen hinaus personenbezogene Daten der Telekommunikationskunden zu erheben.

Unter Zugrundelegen der obigen Ausführungen ergibt sich aus § 90 Abs. 1 TKG zudem auch keine Verpflichtung der Klägerin, eine Kundenidentifizierung aufgrund der von der Beklagten vorgegebenen amtlichen Ausweispapiere vorzunehmen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

(...)


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