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Fundstelle: CR 1998, 565

radikal
§§ 130a Abs. 1, 140 Nr. 2 StGB
AG Berlin: Urteil vom 30. 06. 1997 - 260 DS 857/96 -

(Anmerkung der Redaktion: Dieses Urteil ist vor der gesetzlichen Regelung der §§ 5 TDG, 5 MedDStVertr ergangen. Wesentliche Bestimmungen nimmt dieses Urteil jedoch schon vorweg.)

Die bloße Existenz eines Link auf einer Homepage kann eine Strafbarkeit jedenfalls dann nicht begründen, wenn nicht positiv festgestellt werden kann, daß der Link bewußt und gewollt in Kenntnis der Existenz und des Inhalts gesetzt wurde und aufrecht erhalten wird.
(Leitsatz der Kanzlei)

Aus den Entscheidungsgründen:
(...)
Der Angeklagten war mit Anklageschrift vom 9. Dezember 1996 vorgeworfen worden, durch eine Tat Beihilfe zu einer Anleitung zu Straftaten gemäß § 130a Abs. 1 StGB sowie Beihilfe zu einer Billigung von Straftaten im Sinne des § 140 Nr. 2 StGB geleistet zu haben (§ 27 StGB).

Zwischen August und dem 11. September 1996 sollen durch unbekannte Personen Auszüge aus der im Juni 1996 erschienenen Druckschrift "RADIKAL" Nr. 154 mit Wissen und Billigung der Angeklagten in der von ihr über den Internet-Dienst CompuServe betriebenen Internet-Homepage mit der Adresse "http://ourworld.compuserve.com/homepages/angela1" verbreitet worden sein. Unter anderem seien Inhalt dieser Auszüge zwei Artikel mit den Titeln "Kleiner Leitfaden zur Behinderung von Bahntransporten aller Art" sowie "Jedes Herz eine Zeitbombe - Rekrutierungszüge/Abschiebezüge stoppen!" gewesen, die sich inhaltlich mit Sabotageakten gegen die Deutsche Bahn befaßten und damit unter dem Gesichtspunkt der §§ 316b Abs. 1, 126 Abs. 1 Nr. 7 StGB, jeweils in Verbindung mit den vorgenannten Bestimmungen, von strafrechtlicher Relevanz seien.

Die Hauptverhandlung hat zu folgenden Feststellungen hinsichtlich der Tathandlung der Angeklagten geführt:
Die Angeklagte verfügt über eine Homepage im Internet.
Jedenfalls am 4. September 1996 hatte diese Homepage unter anderem folgenden Inhalt, auf den jeder Nutzer des Internets, der die Homepage der Angeklagten über den oben genannten Pfad aufrief, Zugriff nehmen konnte. Auf Anklicken eines Feldes im Menü der Homepage <... zur "RADIKAL"> erschien ein Text unter der Überschrift "...Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden...", der eine Auseinandersetzung mit der "RADIKAL" enthielt. Am Ende des Textes fand sich ein weiterer sogenannter Link in Form eines Feldes <Vorsicht: "radikal" im Internet - ein Beitrag gegen Pressezensur">, durch dessen Betätigung automatisch die Internet-Adresse der "RADIKAL" "http://www.xs4all.nl/~tank/radikal/" angewählt wurde. Durch weitere Auswahlentscheidungen mit Hilfe sogenannter Links konnte der Benutzer dann zu den oben genannten Artikeln gelangen und diese auf seinem Bildschirm darstellen.
(...)

Die Angeklagte ihrerseits ließ sich in der Hauptverhandlung dahingehend ein, der Link zur "RADIKAL" habe bereits seit längerer Zeit bestanden; zu dem Zeitpunkt, als er aufgebaut worden sei, habe die Ausgabe 154 der "RADIKAL" noch nicht existiert. Erst zu einem späteren Zeitpunkt seien daher die beiden hier in Rede stehenden Artikel eingespeist worden.

Diese Einlassung war der Angeklagten mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln nicht zu widerlegen; sie hat sich vielmehr in den wesentlichen Punkten als richtig erwiesen:

Der sachverständige Zeuge (...) erläuterte zunächst, daß es sich tatsächlich so verhalte, daß die Inhalte eines Mediums, auf die ein Link im Internet verweise, variabel seien. Die Einspeisung weiterer Informationen, auch weiterverweisender Links, sei ohne Mitwirkung oder auch nur Kenntnis des Verweisenden jederzeit möglich.

Der Zeuge (...) gab an, für ihn sei aufgrund seiner Recherchen nicht nachvollziehbar gewesen, seit wann der Link bereits existiert habe.
Der Zeuge (...) bekundete, der Link als solcher habe bereits im April 1996 existiert; die Ausgabe 154 der "RADIKAL" habe jedoch erst im Juni 1996 in Druckform vorgelegen. An der Glaubwürdigkeit des Zeugen bestanden keine Zweifel.

Nach den getroffenen Feststellungen lag zum Zeitpunkt der ursprünglichen Schaltung des Links, der im übrigen auch nicht Gegenstand der Anklage war, keine Haupttat vor, zu der die Angeklagte hätte Beihilfe leisten können. Für den angeklagten Zeitraum hingegen ließen sich keine Feststellungen darüber treffen, ob und vor allem wann die Angeklagte von der inzwischen erfolgten Einspeisung der Ausgabe Nr. 154 der "RADIKAL" Kenntnis erlangt hatte. Die bloße Weiterexistenz des Links kann eine Strafbarkeit der Angeklagten jedenfalls dann nicht begründen, wenn nicht positiv festgestellt werden kann, daß die Angeklagte den Link bewußt und gewollt in Kenntnis der Existenz und des Inhalts der Ausgabe 154 der "RADIKAL" weiter aufrecht erhielt.

Wollte man daneben für eine Strafbarkeit unter dem Gesichtspunkt der Inhärenz an das Unterlassen einer regelmäßigen Überprüfung des eigenen Links anknüpfen, würde sich zunächst die Frage stellen, in welchen Zeitabständen eine solche Überprüfung zu fordern wäre, was zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führte. Darüber hinaus wäre der Angeklagten in dieser Hinsicht im vorliegenden Fall allenfalls Fahrlässigkeit vorzuwerfen, nicht jedoch Vorsatz nachzuweisen.
Die Angeklagte war daher unter den genannten Umständen von dem ihr gemachten Vorwurf freizusprechen, ohne daß es einer näheren Erörterung der Frage bedurfte, ob die Schaltung bzw. die Aufrechterhaltung des Links den objektiven Tatbestand einer Beihilfehandlung erfüllt.

(...)


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