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Fernabsatz eines Füllfederhalters
§ 890 ZPO
OLG Frankfurt/Main; Beschluss vom 30. 04. 1998; ger. Az: 6 W 58/98

1. Auch bei anderslautendem Urteil in der Hauptsache bleibt ein Verfügungsbeklagter solange an die gerichtliche Verfügung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens gebunden, bis er hiergegen erfolgreich Rechtsmittel einlegt.
2. Der auf einer e-commerce-Webseite angesprochene Verkehrskreis ist anhand aller Umstände des Einzelfalls wie etwa Nutzbarkeit der angeboteten Waren, tatsächlicher Kundenstamm oder Abrufbarkeit des Angebotes zu ermitteln. Hingegen ist der Standort des Servers, ein erklärter entgegenstehender Wille oder die Sprache der Webseite nicht allein ausschlaggebend.

(Leitsatz der Kanzlei Flick)

Aus Tatbestand und Entscheidungsgründen:
I.
Mit Beschluss - einstweilige Verfügung - der 6. Zivilkammer vom 30.1.1995 wurde der Antragsgegnerin unter Androhung von Ordnungsmitteln untersagt, u.a. den Füllfederhalter DF-F 1000 in der Bundesrepublik Deutschland abzubieten, zu bewerben und/oder zu vertreiben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war auf das aus Bl. 34 f d. A. ersichtliche international registrierte Geschmacksmuster DM 015534 gestützt.
Nachdem die Parteien am 8.1.1996 das aus der Anlage P 6 ersichtliche "Agreement" geschlossen hatten, das sich auf das Verfahren 3/8 0 21/95 bezog, an dem die Antragsgegnerin unstreitig nicht beteiligt war, gab die Antragsgegnerin die aus dem Schreiben vom 12.1.1998 ersichtlichen Erklärungen ab.
Im nachfolgenden weiteren einstweiligen Verfügungsverfahren 3/12 0 15/96 (6 U 172/96 OLG Frankfurt) hat die 12. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main mit Urteil vom 28.6.1996 die Rechtsbeständigkeit des Geschmacksmusters DM 015534 verneint und auf dieses Geschmacksmuster gestützte Unterlassungsanträge zurückgewiesen. Die Berufung gegen dieses Urteil hat die Antragstellerin zurückgenommen.
Die Antragsgegnerin hat den Füllfederhalter DF-F 1000 unstreitig erneut auf den Messen Premiere 1996 und Premiere 1997 in Frankfurt am Main angeboten. Außerdem ist dieser Füllfederhalter Gegenstand ihres aus Bl. 121 und 125 d.A. ersichtlichen Angebots im Internet. Die Antragstellerin sieht hierin Verstöße gegen die einstweilige Verfügung vom 30.1.1995.
Die Antragstellerin hat im wesentlichen geltend gemacht, die Antragsgegnerin habe durch die dargelegten unstreitigen Handlungen gegen die einstweilige Verfügung aus dem Jahre 1995 verstoßen. Diese Beschlussverfügung sei von der Antragsgegnerin durch das Agreement, insbesondere durch das Schreiben vom 12.1.1998 ausdrücklich als endgültige Regelung anerkannt worden; daraus ergebe sich zugleich, dass die Verstöße schuldhaft begangen worden seien.

(...)

Die Antragsgegnerin hat im wesentlichen vorgetragen, sie habe nach der Verneinung der Rechtsbeständigkeit des Klagemusters im Verfahren 3/12 0 15/96 davon ausgehen dürfen, den umstrittenen Füllfederhalter wieder vertreiben zu dürfen. Nur um den Streitigkeiten um den Füllfederhalter DF-F 1000 ein Ende zu machen, habe sie unter dem 12.1.1998 die Erklärung abgegeben, die Regelung in der Beschlussverfügung künftig als endgültige Regelung anzuerkennen. Auf das Agreement komme es nicht mehr an. Selbst wenn es sich auf die Beschlussverfügung des vorliegenden Verfahrens beziehen sollte, sei ihm mit dem Urteil vom 28.6.1996 die Grundlage entzogen.
Die Verhängung eines Ordnungsgeldes wegen des Angebots auf der Premiere 1996 sei wegen Verjährung nicht mehr möglich; das Anbieten des Füllers auf der Premiere sei mangels Verschulden kein Verstoß gegen die Unterlassungsverfügung; das Angebot im Internet sei kein Angebot auf dem deutschen Markt, es fehle an einem inländischen Begehungsort. Zudem sei sichergestellt, dass aufgrund von Bestellungen im Internet keine Auslieferungen nach Deutschland erfolgten.
Mit Beschluss vom 23.6.1998 hat das Landgericht den Vollstreckungsantrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin.

II.
1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Zurückweisung des Vollstreckungsantrages wegen des Angebots des Füllfederhalters auf der Premiere 1996 richtet. Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass dieser Verstoß verjährt ist (Art. 9 Abs. 1 EGStGB). Darauf, dass die Angebote auf den jährlichen Ausstellungen der Premiere in Fortsetzungszusammenhang stünden, kann sich die Antragstellerin nicht berufen. Zwar hat der Senat wegen der eigenständigen Bedeutung des Fortsetzungszusammenhangs in Verfahren nach § 890 ZPO an dieser Rechtsfigur trotz der geänderten Rechtsprechung in Strafsachen festgehalten (Senat WRP 1995, 647 = NJW 1995, 2567; vgl. auch Zöller, ZPO 20. Aufl., § 890 ZPO Rdnr. 20 m.w.Nachw.). Im Streitfall stehen die anlässlich der Messen begangenen Verstöße aber schon deshalb nicht in einem Fortsetzungszusammenhang, weil die auf den Messen auszustellenden Kollektionen jeweils neu zusammengestellt werden, so dass angesichts der zahlreichen zwischen den Parteien geführten Auseinandersetzungen jeweils erneut darüber zu entscheiden war, ob der von der Beschlussverfügung erfasste Füllfederhalter ausgestellt werden sollte und konnte. Das schließt einen einheitlichen Vorsatz, der lediglich durch eine Reihe gleichartiger Handlungen verwirklicht wird, aus. Der mit dem Vollstreckungsantrag geltend gemachte Verstoß gegen die Beschlussverfügung ist daher verjährt.

2. Mit der Ausstellung des umstrittenen Füllfederhalters auf der Premiere 1997 hat die Antragsgegnerin dagegen gegen die Beschlussverfügung verstoßen. Dabei ist unstreitig, dass der in der Beschlussverfügung bezeichnete Füllfederhalter DF-F 1000 ausgestellt worden ist, die Antragsgegnerin bestreitet lediglich, dass der Verstoß schuldhaft erfolgt sei.
Wie die Antragstellerin zutreffend geltend macht, erfolgte der Verstoß gegen die Beschlussverfügung des Landgerichts schuldhaft. Denn der Antragsgegnerin war und ist bewusst, dass die Beschlussverfügung bis heute unangefochten Bestand hat. Dies ergibt sich zuletzt aus ihrem Schreiben vom 12.1.1998, mit der sie die Regelung der einstweiligen Verfügung des Landgerichts als endgültige Regelung insbesondere im Hinblick auf den hier streitgegenständlichen Füllfederhalter anerkannt hat. Der Antragsgegnerin ist zwar zuzugeben, dass sie im Verfahren 3/12 0 15/96 gehofft haben mag, mit ihrer Rechtsansicht durchdringen zu können, derzufolge dem Klagemuster die Bestandskraft abgesprochen werden müsse, wie dies mit Urteil des Landgerichts vom 28.6. 1996 in diesem Verfahren auch geschehen ist. Daraus konnte die Antragsgegnerin aber allenfalls den Schluss ziehen, dass die gegen sie im vorliegenden Verfahren ergangene einstweilige Verfügung auf Widerspruch hätte aufgehoben und das Eilbegehren zurückgewiesen werden können.
Solange die Antragsgegnerin einen solchen Rechtsbehelf nicht eingelegt hatte, was bis heute nicht geschehen ist, konnte sie aber keinem Irrtum darüber unterliegen, dass der Titel möglicherweise nicht mehr bestehen könnte. Gegenstand des Vollstreckungsverfahrens nach § 890 ZPO ist dieser Titelverstoß, nicht dagegen die Frage, ob mit dem weiteren Angebot des Füllfederhalters gegen materielles Geschmacksmusterrecht verstoßen wird. Dass sich die Antragsgegnerin über den formellen Fortbestand des gegen sie ergangenen Titels geirrt hätte, macht diese selbst nicht geltend, zumal sie in anderen Zivilverfahren Widerspruch eingelegt hat und deshalb wusste, dass ein im Eilverfahren ergehender Titel Bestand hat, bis er auf Widerspruch aufgehoben ist. Daraus folgt, dass der Antragsgegnerin durchaus bewusst war, dass der Titel gegen sie nach wie vor Bestand hatte und sie sich bewusst über den Titel hinweggesetzt hat. Ein Verbotsirrtum lag damit ersichtlich nicht vor.

3. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin auch durch die Werbung und das Angebot des Füllfederhalters im Internet gegen die Beschlussverfügung der Kammer verstoßen.
Da die Homepage der Antragsgegnerin, die auf ihren Web-Seiten Detailangaben für die Bestellung der einzelnen Schreibgeräte sowie unter dem Stichwort "Main Export Markets:" die Angabe "Worldwide" macht, unstreitig von Deutschland aus abgerufen werden kann, handelt es sich bei dem Internet-Angebot der Beklagten jedenfalls angesichts der Umstände, unter denen das Angebot erfolgt ist, um ein Anbieten und Bewerben des Füllfederhalters auch in Deutschland. Dem steht nicht entgegen, dass die Homepage in englischer und nicht in deutscher Sprache abgefasst ist, denn die englische Sprache ist die im www gebräuchliche Sprache. Der angebotene Füllfederhalter ist weltweit verwendbar, so dass die Art des beworbenen Gegenstandes nicht der Annahme entgegensteht, dass die Werbung und das Angebot weltweit intendiert sind und vom angesprochenen Verkehr als ein weltweites und damit auch auf Deutschland bezogenes Angebot verstanden werden können.
Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin den Füllfederhalter nicht nur im Internet angeboten, sondern von 1995 an regelmäßig anlässlich der Frankfurter Premierenmessen präsentiert hat. Auch dieser Umstand belegt, dass sich das Angebot der Antragsgegnerin im Internet auch an die deutschen Verkehrskreise richtet und von diesen - mangels irgendeines erkennbaren Liefervorbehalts oder einer Beschränkung hinsichtlich des Lieferlandes - nicht lediglich als ein den inländischen Markt nicht erfassendes weiteres Anbieten und Bewerben des Füllfederhalters in einem neuen Medium verstanden wird.
Soweit die Antragsgegnerin geltend macht, durch interne Anweisungen sichergestellt zu haben, dass Bestellungen aus Deutschland nicht zur Auslieferung kommen, ist dies unerheblich, da der Antragsgegnerin nicht nur der Vertrieb, sondern auch das Anbieten des Füllfederhalters und die Werbung für den Füllfederhalter in Deutschland durch die Beschlussverfügung untersagt worden sind. Der Antragsgegnerin ist zwar zuzugeben, dass im Hinblick auf die Besonderheiten von Angeboten im Internet die Reichweite nationaler gerichtlicher Titel problematisch ist (dazu Wegner, CR 1998, 676 ff, 682). Im Streitfall ist aber zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin - wie bereits angesprochen - den Füller in ihrer auf den Vertrieb ihres Produktionsprogramms gerichteten Homepage vorbehaltslos angeboten hat, also auf der Homepage keinerlei Hinweis darauf angebracht hat, dass von dem Angebot des DF-F 1000 die Bundesrepublik Deutschland ausgenommen ist und Bestellungen aus Deutschland weder entgegen­genommen noch ausgeführt werden. Allein der Umstand, dass die Antragsgegnerin nach ihren Behauptungen betriebsintern die Weisung erteilt haben will, Bestellungen des Füllfederhalten aus Deutschland nicht entgegenzunehmen und Auslieferungen nach Deutschland nicht auszuführen, führt daher nicht dazu, dass sich die Antragsgegnerin titelkonform verhalten hat. Die Antragsgegnerin mag mit der behaupteten Anweisung einen Verstoß gegen das Verbot, den umstrittenen Füllfederhalter in der Bundesrepublik zu vertreiben, verhindert haben; darauf beschränkt sich der Titel aber nicht.

4. Da die Antragsgegnerin in zwei Fällen schuldhaft gegen die einstweilige Verfügung verstoßen hat, hält der Senat ein Ordnungsgeld in Höhe von 10.000,- DM für erforderlich, aber auch für ausreichend, um die Antragsgegnerin zur künftigen Beachtung des gegen sie ergangenen Titels anzuhalten.

(...)


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