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Fundstelle: NJW 2004, 168

Anfechtung einer Internetauktion
§§ 156, 119, 121 BGB
OLG Oldenburg; Urteil vom 30.10.2003; ger. Az.: - 8 U 136/03 -


1. Ein offensichtlicher Tippfehler bei der Eingabe des Mindestgebotes kann den Anbieter einer Internetauktion zur Anfechtung wegen Irrtums berechtigen, wenn auch für den Käufer erkennbar war, dass der angegebene Mindestpreis nicht dem erwarteten Mindestgebot entspricht.
2. Erkennt der Käufer diesen offensichtlichen Fehler auf Seiten des Verkäufers bereits vor Ende der Auktion, kann er auch keinen Vertrauensschaden geltend machen.

(Leitsatz der Kanzlei Flick)

Aus dem Tatbestand:
Der Kläger macht gegen die Beklagte in Höhe von 5.500,00 € einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung wegen nicht erbrachter Erfüllung aus einem Kaufvertrag über alte, handgeschnitzte chinesische Möbel geltend. Er beruft sich darauf, diese Möbel, die einen Wert von 6.000,00 € besitzen, als Meistbietender bei einer Online-Auktion auf der Grundlage der allgemeinen Geschäftsbedingungen der X-International AG zum Mindestgebot von 100,00 € ersteigert zu haben. Die Beklagte macht geltend, von der Eigentümerin der Möbel mit der Versteigerung zu einem Mindestpreis von 1.000,00 EUR beauftragt worden zu sein. Bei der Eingabe des Kaufpreises sei ihr ein Fehler unterlaufen, so dass sie statt "1.000,00 €" nur "100,00 €" eingetippt habe. Sie hat den Vertrag angefochten.

Der Tatbestand des angefochtenen Urteils ist dahingehend zu ergänzen, dass die Parteien während der Bietzeit per E-Mail mit deutlich unterschiedlichen Preisvorstellungen über den Abschluss eines Kaufvertrages über die Möbel verhandelt haben.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 5.500,00 € nebst gesetzlichen Zinsen verurteilt. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel rechtzeitig begründet.
(...)

Aus den Entscheidungsgründen:
Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete, mithin zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Rechtsverletzung im Sinne der §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO; die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch (§§ 437 Nr. 3, 281 BGB) steht dem Kläger nicht zu.

1. Für die Entscheidung kann dahinstehen, ob die Parteien - wovon sie rechtlich ausgehen - aufgrund der Internetauktion (vgl. dazu BGH NJW 2002, 363 f.; Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 156 Rdn. 3) einen Kaufvertrag über die Möbel zu einem Kaufpreis von 100,00 € geschlossen haben oder ob dies nicht der Fall ist. Denn auch wenn ein Vertragsschluss zu bejahen sein sollte, besteht ein Anspruch des Klägers infolge wirksamer Anfechtung seitens der Beklagten nicht.

a. Zum Abschluss eines Kaufvertrages im Wege der Internetauktion ist es deshalb nicht gekommen, weil die Parteien während der Bietzeit umfangreich per E-Mail verhandelt haben. Ein Vertragsschluss ist dabei gerade an den erheblich differierenden Preisvorstellungen der Parteien gescheitert. Die Beklagte hat unter Hinweis auf den ihr von der Eigentümerin der Möbel erteilten Auftrag einen Betrag von 1.500,00 € gefordert, der Kläger hat lediglich 150,00 € angeboten. Daraus ist nicht nur der Schluss zu ziehen, dass der Kläger wusste, dass die Beklagte nicht zu 100 € anbieten wollte; unter diesen Voraussetzungen konnte es weiterhin auch unter Beachtung der Besonderheiten einer Internetauktion nicht zu einem Vertragsschluss mit einem dem Gebot des Klägers entsprechenden Kaufpreis von 100,00 € kommen. Die Beklagte war nämlich nach den Bedingungen der Internetauktion berechtigt, ihr Angebot bei Vorhandensein anzuerkennender Gründe - was hier aus den sogleich folgenden Gründen zu b. der Fall ist - zurückzuziehen; das Einstellen eines Artikels auf die X-Website beinhaltet nur grundsätzlich ein verbindliches Angebot. Die Beklagte hat zwar die Auktion nicht insgesamt abgebrochen; die Mitteilung an den Kläger, 1.500 € als Kaufpreis zu fordern, bedeutet inhaltlich aber dasselbe. Es fehlt deshalb an einem übereinstimmende Willenserklärungen von Verkäufer und Käufer voraussetzenden Kaufvertrag.

b. Wird entsprechend der Rechtsauffassung der Parteien ein Vertragsschluss zu einem Kaufpreis von 100,00 € unterstellt, so scheitert ein Schadensersatzanspruch des Klägers an der von der Beklagten wirksam erklärten Anfechtung.

Dem neben und nach der Internetauktion geführten E-mail-Wechsel der Parteien sind hinreichende Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Beklagte sich verschrieben hat und dass sie nicht 100,00 €, sondern 1.000,00 € als Mindestgebot eingeben wollte. Das ist insbesondere im Hinblick auf den zwischen den Parteien unstreitigen Marktwert der Möbel von 6.000,00 € plausibel. Bestätigt wird dies durch den Umstand, dass die Beklagte schon während der Laufzeit der Auktion auf die Frage des Klägers - der entgegen seinem Gebot nunmehr 150,00 € zahlen wollte - nach dem Preis der Möbel einen Betrag von 1.500,00 € gefordert hat. Die Voraussetzungen eines Irrtums in der Erklärungshandlung sind damit erfüllt.

Die Anfechtungserklärung im Sinne des § 143 BGB ist in dem Telefaxschreiben vom 21. Dezember 2002, das Umstände nennt, aus denen sich ein Willensmangel im Sinne von § 119 Abs. 1 2. Fall ergibt, enthalten und damit zwei Wochen nach dem mit dem Ende der Bietzeit zusammenfallenden Vertragsschluss erklärt worden. Den vorangegangenen E-Mails vom 10. und 18. Dezember 2002 lässt sich inhaltlich nicht hinreichend entnehmen, dass die Beklagte das Rechtsgeschäft gerade wegen eines Willensmangels rückwirkend beseitigen wollte, so dass es auf die streitige Frage des Zugangs bei dem Kläger nicht ankommt.

Die Anfechtung ist noch rechtzeitig gemäss § 121 Abs. 1 S. 1 BGB erfolgt. Der Anfechtende hat sie ohne schuldhaftes Zögern zu erklären, womit dem Interesse des Anfechtungsgegners an Klarstellung des durch die Anfechtung in Frage gestellten Rechtsverhältnisses Rechnung getragen wird. Sie braucht aber nicht "sofort" zu erfolgen; dem Anfechtungsberechtigten ist vielmehr eine gewisse Zeit zur Überlegung und gegebenenfalls zur Einholung des Rates eines Rechtskundigen zuzubilligen (vgl. Palandt/Heinrichs a. a. O., § 121 Rdn. 3). Die Beklagte durfte deshalb und nach den Umständen dieses Einzelfalles eine gewisse Überlegungszeit in Anspruch nehmen und mit der Abgabe der Anfechtungserklärung noch etwas zuwarten, um das Für und Wider einer Anfechtung abzuwägen. Auf das anwaltliche Aufforderungsschreiben vom 16. Dezember 2002 hat sie sodann umgehend die Anfechtung erklärt und begründet. Die dem Anfechtenden regelmässig - wenn auch als Obergrenze - zur Verfügung stehende Frist von etwa 2 Wochen ab Kenntnis des Anfechtungsgrundes, die mit dem Ende der Bietzeit zu laufen beginnt, ist damit gewahrt.

2. Ein Anspruch aus § 122 Abs. 1 BGB auf den Ersatz des Vertrauensschadens steht dem Kläger nicht zu. Aus dem während der Bietzeit geführten E-Mail-Wechsel wusste der Kläger, dass das auf der X-Website genannte Mindestgebot von 100,00 € auf einem Irrtum der Beklagten beruhte. Mindestens konnte er diesen Irrtum aufgrund der auf 1.500,00 € lautenden Kaufpreisforderung der Beklagten erkennen. Das erfüllt die Voraussetzungen für den Ausschluss der Schadensersatzpflicht gemäss § 122 Abs. 2 BGB.

Dass ein Schaden in der von dem Kläger geltend gemachten Höhe besteht, kann im Übrigen ohnehin nicht festgestellt werden. Die vom Kläger herangezogenen Grundsätze des kaufmännischen Deckungskaufs greifen hier nicht ein, weil er ausdrücklich für sich in Anspruch nimmt, kein professioneller Antiquitätenaufkäufer zu sein. Es käme deshalb, auch wenn dem Kläger ein Anspruch auf den Ersatz des entgangenen Gewinns zustünde, nicht auf den Marktwert der Möbel im Antiquitätenhandel an. Zum negativen Interesse, also zu Aufwendungen im Vertrauen auf die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts, fehlt Vorbringen des Klägers.

3. Hingegen ist der - unterstellte - Kaufvertrag entgegen der Auffassung der Beklagten trotz des gravierendes Missverhältnisses zwischen dem Kaufpreis und dem tatsächlichen Verkehrswert der Möbel nicht wegen Wuchers oder Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB nichtig. Es fehlt jeweils am Vorliegen der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen in Form einer verwerflichen Gesinnung. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bewusst die Unerfahrenheit der Beklagten ausgebeutet hat, bestehen nicht. Selbst wenn dem Kläger während der Bietzeit und der Vertragsverhadlungen der Verkehrswert der Möbel bekannt und ihm die erhebliche Wertdifferenz bewusst gewesen sein sollte, ist nicht davon auszugehen, dass er die von der Beklagten für sich reklamierte Unerfahrenheit der Beklagten auf dem Gebiet der Internetauktionen kannte. Die Auktion verlief anonym. Auch das sehr niedrige Mindestgebot musste ihm nicht ohne weiteres die Kenntnis verschaffen, es mit einem unerfahrenen "Laien" zu tun zu haben. Da sich die Gebühren für das Einstellen eines Artikels auf die X-Website nach dem Mindestgebot richten und bei einer Versteigerung immer die Möglichkeit besteht, dass der Erlös letztendlich deutlich über dem Mindestgebot liegt, konnte das Vorgehen der Beklagten aus der Sicht des Klägers durchaus den Eindruck einer - besonders riskanten - Taktik erwecken. Die Unerfahrenheit der Beklagten ist hierdurch jedenfalls nicht derart offenkundig geworden, dass davon auszugehen wäre, der Kläger habe diese erkannt und sich zunutze gemacht.

4. Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 713, 543 Abs. 2 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.


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