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Fundstelle: CR 1992, 543

vergessenes Pflichtenheft
BGB §§ 326, 631
BGH, Urteil vom 24. 09. 1991; ger. Az.: -X ZR 85/90-


1. Bei einem Entwicklungsauftrag ist mangels Pflichtenheft oder anderer konkreter Absprachen ein Ergebnis geschuldet, das dem Stand der Technik bei einem mittleren Ausführungsstandard entspricht.
2. Das gilt auch dann, wenn die Parteien zwar vorgesehen hatten, dass der Auftragnehmer ein Pflichtenheft unterbreiten sollte, es dann aber zur Durchführung der Entwicklung ohne Pflichtenheftfestlegungen gekommen ist.
3. Das »vergessene« Pflichtenheft wird als Leistungspflicht durch die tatsächliche Auftragsdurchführung hinfällig.

(amtlicher Leitsatz)

Aus dem Tatbestand:
Die Klägerin beauftragte den Beklagten nach vorangegangenen Verhandlungen mit Schreiben vom 8. Juli 1987 mit der Entwicklung eines elektronischen Zugangskontrollsystems (im folgenden: ZKS). Während der Abwicklung kam es zwischen den Parteien zu Meinungsverschiedenheiten über den Auftragsumfang, den Fertigstellungszeitpunkt für die Anlagen, die Abnahmemodalitäten und schließlich auch über die Abnahmereife des von dem Beklagten entwickelten ZKS. Die Klägerin setzte schließlich mit Schreiben vom 16. Januar 1989 dem Beklagten eine Frist bis zum 15. Februar 1989, bis zu der der Beklagte die nach Meinung der Klägerin geschuldeten Leistungen zu erbringen habe, und drohte für den Fall der Nichteinhaltung der Frist die Ablehnung der Leistung mit der Ankündigung an, Schadenersatz zu verlangen oder vom Vertrag zurückzutreten. Nach Fristablauf erklärte sie durch Schreiben vom 24. Februar 1989, dass sie die Annahme der Leistung verweigere, bekundete aber gleichzeitig ihr Interesse an einer außergerichtlichen Einigung. Zu dieser kam es nicht.

Mit der Klage hat die Klägerin im Wege des Schadenersatzes die Rückzahlung der von ihr geleisteten Entwicklungskosten geltend gemacht. Sie behauptet, das von dem Beklagten entwickelte ZKS entspreche nicht dem Stand der Technik und weise Mängel und Funktionsdefizite auf. Im übrigen habe der Beklagte auch ein so genanntes Pflichtenheft nicht erstellt und auch keine Dokumentation zu dem entwickelten System geliefert.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Während das Landgericht die Klage abgewiesen hat, weil es die Voraussetzungen des § 326 BGB verneinte, gab ihr das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil mit Ausnahme eines geringen Teils bezüglich des Zinsanspruches statt.

(...)

Aus den Entscheidungsgründen:
Diee Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

(...)

II.
Das Berufungsgericht bejaht die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruches nach § 326 BGB mit folgenden Erwägungen:

Der Inhalt des Vertrages zwischen den Parteien bestimme sich nach dem Schreiben der Klägerin vom B. Juli 1987 und der modifizierten Auftragsbestätigung des Beklagten vom 5. August 1987. Der Vertrag sei nach den Vorschriften über gegenseitige Verträge abzuwickeln.

Nach verschiedenen Mahnungen habe die Klägerin durch Schreiben vom 16. Januar 1989 dem Beklagten eine letzte Frist bis zum 15. Februar 1989 gesetzt, ein einsatzbereites und verkaufsfertiges ZKS zu liefern, und habe ihm für den Fall der Nichteinhaltung des Termins Erfüllungsablehnung angedroht. So sei die Klägerin dann auch durch Schreiben vom 24. Februar 1989 verfahren.

Dahinstehen könne, ob die von der Klägerin bemängelten Funktionsdefizite einer Leistungsabnahme entgegengestanden oder ob - wie der Beklagte geltend mache - die fehlenden Funktionen die Brauchbarkeit des ZKS in der geschuldeten Form nicht beeinträchtigt hätten. Mangels konkreter anderer Absprache habe der Beklagte ein ZKS, das dem Stand der Technik bei einem mittleren Ausführungsstandard entspreche, geschuldet. Oh das von ihm entwickelte ZKS diesen Anforderungen genüge und ohne wesentliche Mängel funktioniert habe, bedürfe indes keiner Aufklärung. Schon der Umstand, dass der Beklagte unstreitig ein Pflichtenheft nicht erstellt habe, berechtige die Klägerin, die Annahme seiner Leistungen zu verweigern. Die Erstellung eines Pflichtenheftes sei im Auftragsschreiben der Klägerin vom 8. Juli 1987 ausdrücklich zum Vertragsinhalt gemacht worden. Daran habe das Bestätigungsschreiben des Beklagten vom 5. August 1987 ungeachtet anderer Modifizierungen des Vertrages nichts geändert.

(...)

Es sei demgemäß Sache des Beklagten gewesen, in Anlehnung an die ihm am 9. Juni 1987 von der Klägerin überlassene »Systembeschreibung als Pflichtenheft«, die im Auftragsfall als »Systemkonzept zur Unterstützung« habe dienen sollen, eine eigene Aufgaben- und Lösungsbeschreibung zu erstellen, die für beide Parteien den von dem Beklagten zu erbringenden Leistungsinhalt umgrenzt und einsichtig gemacht hätte. Dass die Klägerin die Erstellung eines Pflichtenheftes zunächst nicht angemahnt habe, bedeute nicht, dass sie auf diesen Leistungsteil verzichtet hätte.

(...)

Das Berufungsurteil ist in diesem zentralen Punkt - Nichterstellen des Pflichtenheftes durch den Beklagten - rechtsfehlerhaft; es stellt sich mangels tatsächlicher Feststellungen auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (5 563 ZPO). Das Berufungsgericht hat sich zutreffend auf den Standpunkt gestellt, dass der Beklagte mangels konkreter anderer Absprache ein ZKS geschuldet habe, das dem Stand der Technik bei einem mittleren Ausführungsstandard entspreche (s. hierzu RGRK-Glanzmann, 12. Aufl., 5 631 BGB Rdnr. 6). Von daher war das Berufungsgericht gemäß §§ 631 Abs. 1, 633 Abs. 1 BGB, § 286 ZPO gehalten, im Wege einer Beweisaufnahme zu klären, ob das von dem Beklagten entwickelte ZKS diesen Anforderungen genügt und ohne wesentliche Mängel funktioniert hat. Sein Rückgriff auf das Nichterstellen des Pflichtenheftes beruht offensichtlich auf dem Bemühen, eine notwendige Beweisaufnahme zu umgehen. Das kann nicht hingenommen werden.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts zudem fehlenden Pflichtenheft leidet an dem Mangel, dass ein solches nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sinn und Zweck seine Aufgabe, den Vertragsumfang und den Vertragsinhalt eindeutig festzulegen, nur dann erfüllen könnte, wenn die diesbezügliche Vereinbarung vor Ausführung des Werkvertrages abgeschlossen worden wäre. Nachdem die Parteien hier aber anders vorgegangen sind und mangels Festlegung in einem Pflichtenheft nur ein ZKS entsprechend dem Stand der Technik bei einem mittleren Ausführungsstandard geschuldet war, kann das Pflichtenheft hier seine Aufgabe nicht mehr erfüllen. Es ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mangels konkreter anderer Absprache, die ihren Niederschlag in dem Pflichtenheft hätte finden müssen, eine Festlegung auf das konkret vom Beklagten hergestellte ZKS erfolgt. Dessen Übereinstimmung mit dem Stand der Technik bei einem mittleren Ausführungsstandard ist Inhalt des zwischen den Parteien zustandegekommenen Vertrages.

Die Auffassung des Berufungsgerichts ist im übrigen denkgesetzwidrig. Der von der Klägerin gegen den Beklagten geltend gemachte und auf § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB gestützte Schadenersatzanspruch setzt u.a. voraus, dass der Beklagte mit einer Hauptleistungspflicht in Verzug gewesen ist (BGHR BGB § 326 Abs. 1 - Einreden 1; BGH NJW 1972, 99; Palandt/Heinrichs Komm. z. BGB 50. Aufl., 1991, § 326 Anm. 3 b m.w.N.). Unabhängig davon, ob das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, dass es sich bei der Erstellung des Pflichtenheftes um eine Hauptleistungspflicht handelt, und ferner, ob die Klägerin - was die Revision rügt - dem Beklagten gerade wegen dieser Verpflichtung eine Frist mit Ablehnungsandrohung gesetzt hat, kann es sich jedenfalls nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen bei der Erstellung des Pflichtenheftes nicht um eine Hauptleistungspflicht handeln, die bei der konkreten Sachverhaltsgestaltung die Klägerin berechtigt hätte, die Annahme der Leistungen des Beklagten zu verweigern; denn diese "Hauptleistungspflicht" wäre jedenfalls durch die Entwicklung des ZKS durch den Beklagten hinfällig gewesen.
(...)


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