Multimediarecht, IT-Recht, EDV-Recht, Internetrecht, Domainrecht, Wettbewerbsrecht, Urheberrecht


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Prüfungspflicht des Webseitenbetreibers für fremde Inhalte
§ 11 Satz l TDG
LG München I; Urteil vom 8.12.2005 - 7 O 16341/05 -


1. Der Betreiber einer nicht gewinnorientierten Webseite ist nicht verpflichtet, Inhalte, die Dritte auf seiner Webseite eingestellt haben, auf mögliche Urheberrechtsverstöße zu prüfen.
2. In einer kurzen Prüfung der Inhalte auf offensichtliche Rechtsverstöße wie Beleidigungen oder Rassismus kann kein "zu eigen machen" der Inhalte gesehen werden.

(Leitsatz der Kanzlei Flick)

Aus dem Tatbestand:
Die Antragstellerin macht gegen den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Verfügung Ansprüche wegen behaupteter Verletzung von ausschließlichen Nutzungsrechten der Antragstellerin an Kartenmaterial durch die Antragsgegnerin geltend.

Die Antragstellerin veröffentlicht im Internet unter der Domain www.stadtplandienst.de Kartographien verschiedener Städte, unter anderem von Halle. Durch Anklicken dieser URL wird es dem Benutzer ermöglicht, die von der Antragstellerin hergestellte Kartographie aufzurufen und im Rahmen dieser URL kostenlos zu nutzen. Die Antragstellerin bietet daneben an, gegen Entgelt einfache Nutzungsrechte an sog. Kartographie-Kacheln zu erwerben.

Der Antragsgegner ist verantwortlicher Betreiber einer mit eigenen Mitteln unterhaltenen Website für Hörgeschädigte www.taubenschlag.de, zu der auch eine interaktive Adressverwaltung www.deafbase.de und eine interaktive Terminsverwaltung www.deafdate.de, auf die verwiesen wird, gehört. Hörgeschädigte oder Vereine und Organisationen von Hörgeschädigten können Termine und Hinweise in diesem Kalender selbständig pflegen und verwalten. Die eingestellten Beiträge enthalten stets einen Hinweis auf den Urheber oder den Veranstalter. Die Website wird als Kommunikationsplattform gut angenommen. In den letzten beiden Jahren wurden auf die streitgegenständliche Seite ca. 3.200 Termine eingestellt. Der Antragsgegner pflegt selbst keine Termine ein, sondern kontrolliert die Inhalte regelmäßig auf offensichtlich rechtswidrigen oder sittenwidrigen Inhalt (Beleidigungen etc.).

Hierzu werden dem Antragsgegner automatisch von der Website Kontroll- e-mails mit dem Inhalt der Einträge zugesandt. Wenn die Inhalte der Einträge nachträglich abgeändert werden, wird wiederum eine Kontroll-e-mail erzeugt. Pro Termin fallen durchschnittlich fünf Kontroll-e-mails an. Die Einträge bleiben nur bis zum Ablauf des entsprechenden Termins auf der Website. Auf dem Server sind die Einträge jedoch weiterhin vorhanden. D.h., bei Kenntnis der direkten URL sind sie weiterhin vorhanden.

Am 18.07.2005 befand sich unter der Adresse www.deafdate.de/T02298/stadtplan_hgz-halle.gif der nachfolgende Stadtplanausschnitt der Antragstellerin.

(...)

Der Eintrag betraf ein Skat- und Romméturnier des Gerhörlosen- Skatclubs „Schellen" aus Halle, das am 06.08.2005 in den Räumen des Hörgeschädigtenzentrums Halle stattfand. Der streitgegenständliche Kartenausschnitt war als Anfahrtsbeschreibung beigefügt. Der Eintrag war von Herrn Marco Strauß auf die Website des Antragsgegners eingestellt worden.

Die Antragstellerin hat den Antragsgegner mit Schreiben vom 08.08.2005 (Anlage A 5) abgemahnt und aufgefordert, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Eine solche wurde seitens des Antragsgegners nicht abgegeben.

Auf den Verfügungsantrag der Antragstellerin vom 18.8.2005 wurde am 19.08.2005 eine einstweilige Verfügung erlassen, mit der dem Antragsgegner untersagt wurde, den streitgegenständlichen Kartenausschnitt ohne Einwilligung der Antragstellerin der Öffentlichkeit über das Internet zugänglich zu machen (Bl. 7/8) . Hiergegen richtet sich der Widerspruch des Antragsgegners vom 26.10.2005 (Eingang bei Gericht).

Der Antragsgegner ist der Auffassung, ein Unterlassungsanspruch sei nicht gegeben. Er hafte weder in seiner Eigenschaft als Host-Provider in Bezug auf die deafdate.de-Plattform noch als Admin-C. Auch eine Störerhaftung greife nicht ein. Er hafte nicht für von Dritten eingestellte Inhalte. Er biete einen Teledienst im Sinne von § 3 Nr. l i.V.m. § 2 Abs. 2 TDG an. Die nach der Rechtsprechung vorzunehmende Interessenabwägung falle zugunsten des Antragsgegners aus, da ihm eine weitergehende Prüfung dahingehend, ob ein Lizenzvertrag das Verwenden des Kartenausschnitts auf der Website erlaube oder nicht, nicht zumutbar sei. Anderenfalls sei der Betrieb einer solche Plattform, aus der er keinerlei wirtschaftlichen Nutzen ziehe, nicht möglich. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass sich die Antragstellerin direkt an den Urheber des Eintrags wenden könne, da dessen Namen angegeben sei. Die Anfahrtsskizze sei vom Hörgeschädigtenzentrum Halle aufgrund Vertrages mit der Antragstellerin (Nr. 13086) als Anfahrtsbeschreibung durch Verlinkung (Anlage B 5) als auch als Bilddatei auf dessen Server genutzt worden. Die Rechtsprechung zur Admin-C-Haftung sei auf vorliegende Fallgestaltung nicht übertragbar. Es sei allein auf die Haftungsregelung als Host-Provider abzustellen.

(...)

(Der Antragsteller ist der Meinung) Da der Antragsgegner selbst vortrage, dass er alle Einträge überprüfe, könne er sich bereits deshalb nicht auf eine Haftungsprivilegierung berufen. Er habe aufgrund Kenntnis der Anlage B 4 gewusst, dass ein Stadtplan veröffentlicht worden sei. Dies ergebe sich schon aus dem Dateinamen selbst. Der Antragsgegner mache sich die Inhalte jedenfalls zu Eigen. Da diese weiterhin auf dem Server vorhanden blieben, entziehe er sie dem Einfluss des Dritten, sodass er die entsprechenden Informationen eigenverantwortlich veröffentliche. Gegen das Vorliegen eines Teledienstes spreche bereits, dass jegliche Anbieter-Kennzeichnung wie auch eine Impressumsangabe des Antragsgegners fehlten. Ob die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 TDG bzw. die Haftungsprivilegien des TDG eingriffen, könne dahinstehen, da der Antragsgegner bereits im Jahre 2001 wegen einer Veröffentlichung unter seiner eigenen Domain www.taubenschlag.de abgemahnt worden sei (Anlage A 8). Seither treffe ihn eine weitergehende Prüfungspflicht.

Ob das Hörgeschädigtenzentrum Halle aufgrund des Link-Vertrages zu einer entsprechenden Nutzung berechtigt gewesen sei - eine Nutzung als Hyperlink sei von dem Link-Vertrag nach den Nutzungsbedingungen (Anlage A 10) nicht gedeckt -, könne dahinstehen, da dieses den Kartenausschnitt nicht auf der Seite des Antragsgegners veröffentlicht habe.

Zu der Abmahnung im Jahre 2001 weist der Antragsgegner darauf hin, dass er deswegen mit dem Leiter der Bayerischen Landesschule für Gehörlose, die den Eintrag in der Homepage veranlasst habe, Kontakt aufgenommen habe. Er habe sodann von der Sache nichts mehr gehört (siehe eidesstattliche Versicherung vom 9.11.2005, Anlage zum Protokoll).

(...)

Aus den Entscheidungsgründen:
Die einstweilige Verfügung war auf den Widerspruch des Antragsgegners aufzuheben (§ 925 Abs. 2 ZPO) . Der Antragstellerin steht ein Verfügungsanspruch nicht zu.

I.
1. Dass der fragliche Kartenausschnitt gemäß § 2 Abs. l Nr. 7, Abs. 2 UrhG Urheberrechtsschutz genießt (vgl. BGH GRUR 2005, 854 - Kartengrundsubstanz) und der Antragstellerin hieran die ausschließlichen Nutzungsrechte (§ 31 Abs. 3 UrhG) zustehen, wird vom Antragsgegner nicht in Zweifel gezogen, sodass hierzu keine weiteren Ausführungen veranlasst sind.

2. Die Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch nach § 97 Abs. 1 S. l, § 19 a UrhG sind nicht erfüllt. Ein Unterlassungsanspruch aus § 97 Abs. 1 S. l UrhG besteht, wenn der Anspruchsgegner das Urheberrecht oder ein anderes nach dem UrhG geschütztes Recht widerrechtlich verletzt hat und Wiederholungsgefahr besteht.

a. Der Unterlassungsanspruch ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Antragsgegner etwaig nach den §§ 8-11 TDG für Urheberrechtsverletzungen nur eingeschränkt haftet. Der Antragsgegner speichert fremde Informationen für die Nutzer, so dass er von der Haftungsprivilegierung des § 11 Satz l TDG grundsätzlich erfasst wird. Die Überprüfung der Einträge auf offensichtlich rechtswidrige Inhalte führt nicht dazu, die Einträge deswegen als eigene Inhalte zu qualifizieren. Ebenso wenig ist dies aufgrund des Umstandes gerechtfertigt, dass die Einträge nach Ablauf der Termine weiterhin auf dem Server vorhanden sind.

Die Haftungsprivilegierung findet jedoch nach der Rechtsprechung (BGH GRUR 2004, 860, 862 - Internet-Versteigerung) keine Anwendung auf den hier allein gegenständlichen Unterlassungsansprüche. Dem Wortlaut des § 11 TDG „Verantwortlichkeit" ist zu entnehmen, dass er sich nur auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit und die Schadensersatzansprüche bezieht.

b. Der Antragsgegner ist jedoch weder Täter noch Teilnehmer einer etwaigen Rechtsverletzung. Dadurch, dass der Antragsgegner seine Plattform anderen Hörgeschädigten oder Vereinen und Organisationen von Hörgeschädigten zur Verfügung gestellt hat, hat der Antragsgegner selbst keine Verletzung der urheberrechtlichen Nutzungsrechte der Antragstellerin begangen. Unstreitig wurde der streitgegenständliche Kartenausschnitt nicht vom Antragsgegner auf die Website eingestellt, sondern von Herrn Marco Strauß. Eine Haftung als Teilnehmer an der durch Herrn Strauß begangenen Urheberrechtsverletzung setzt jedoch zumindest bedingten Vorsatz voraus (BGH, a.a.O., S. 863 - Internet -Versteigerung). Bedingter Vorsatz des Antragsgegners ist hier nicht glaubhaft gemacht. Zwar nimmt der Antragsgegner jeden einzelnen Eintrag über die Kontroll-e-mails zur Kenntnis, nachdem dieser auf die Seite eingestellt wurde.

Jedoch ist die vorangegangene Abmahnung aus dem Jahr 2001 nicht ausreichend, um eine positive Kenntnis oder ein billigendes Inkaufnehmen der Rechtsverletzung durch den Antragsgegner zu begründen. Denn der verwendeten Kartographie-Kachel ist nicht ohne weiteres anzusehen, wer Rechteinhaber ist und ob der Verwender der Kachel die Zustimmung des Rechteinhabers zur Veröffentlichung auf der Website eingeholt hat. Als Rechtsinhaber kämen neben der Antragstellerin eine Vielzahl weiterer Anbieter von Kartographien in Betracht, die Nutzungsrechte zu möglicherweise unterschiedlichen Bedingungen einräumen. So kann die vorangegangene Abmahnung allenfalls eine Sensibilisierung des Antragsgegners für gleichartige Verstöße begründen, es handelt sich jedoch aus den genannten Gründen nicht um eine offensichtliche Rechtsverletzung.

c. Aber auch eine Haftung des Antragsgegners als Störer kommt nicht in Betracht. Im Rahmen des Unterlassungsanspruchs haftet neben dem Täter oder Teilnehmer der Rechtsverletzung jeder, der, ohne selbst Verletzer zu sein, in irgendeiner Weise willentlich und kausal an der rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt hat, sofern er die rechtliche Möglichkeit hat, die Rechtsverletzung zu verhindern, und ihm zumutbar ist, Maßnahmen zur Störungsbeseitigung zu ergreifen (BGH GRUR 1997, 313, 315 f. - Architektenwettbewerb; BGHZ 148, 13, 17 f. - ambiente.de m.w.N.). Da die Störerhaftung aber nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, setzt die Haftung des Störers die Verletzung von Prüfungspflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist (BGH, a.a.O., S. 864 m.w.N. - Internet- Versteigerung; vgl. auch Rössel/Rössel, CR 2005, 809, 810 f.)).

Einem Betreiber einer Plattform, der - wie der Antragsgegner - anderen die Möglichkeit zur Einstellung von Terminen anbietet -ist es nicht zuzumuten, jeden Terminseintrag vor Veröffentlichung im Internet auf mögliche Verletzungen fremder Urheberrechte zu untersuchen. Eine solche Obliegenheit würde den ganzen Betrieb des Online-Kalenders in Frage stellen. Insbesondere handelt es sich anders als bei der Entscheidung des BGH im Fall Internet- Versteigerung vorliegend nicht um ein gewerbliches Angebot des Antragsgegners; ebenso handelt es sich bei der Nutzung des Stadtplanausschnittes nicht um einen offensichtlichen Verstoß gegen fremde Rechte. Trotz der vorhergegangenen Abmahnung war es für den Antragsgegner - wie oben bereits dargestellt - nicht offensichtlich, ob die Veröffentlichung der Kartenkachel mit Zustimmung des Rechtsinhabers erfolgte oder nicht. Der Antragsgegner müsste sich daher an den Ersteller des Terminseintrags wenden, um dort zu erfragen, ob dieser zur Nutzung des Kartenausschnittes berechtigt ist. Da der Antragsgegner aufgrund der Vielzahl der Anbieter von Kartenkacheln den Inhaber eines möglichen fremden Rechts nicht selbst feststellen kann, wäre er zudem nicht in der Lage, den Wahrheitsgehalt einer solchen Auskunft zu überprüfen. Dass der Antragsgegner tatsächlich die Terminseinträge auf offensichtliche Rechtsverstöße überprüft, vermag seine Prüfungspflichten nicht - wie von der Antragstellerin angenommen - zu erweitern. Zudem hat der Antragsgegner kein eigenes wirtschaftliches Interesse an dem Betrieb der Plattform.

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 6, 711 ZPO.


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